Reiner Kunze


Unsere Journalistin Juliette Waltrinks hatte die einmalige Gelegenheit Reiner Kunze, einen bedeutenden Schriftsteller dieser Zeit, in seiner Heimatstadt Oelsnitz/Erz. zu treffen und ihm zahlreiche Fragen zu seinem Leben zu stellen.

Journalistin: Herr Kunze, wann und wo wurden Sie denn geboren?

R. Kunze: Am 16. August 1933 wurde ich hier in Oelsnitz im Erzgebirge als Sohn eines Bergmannes geboren.

Journalistin: Könnten Sie uns Ihre schulische Laufbahn beschreiben?

R. Kunze: Gern. Im Jahre 1947 durfte ich eine Aufbauklasse besuchen, die es mir ermöglichte vier Jahre später mein Abitur in Stollberg abzulegen. Ich beschloss, an der Leipziger Karl-Marx-Universität Philosophie und Journalismus zu studieren und arbeitete dort nach meinem Staatsexamen sogar an der Journalistischen Fakultät.

Journalistin: Sie haben diesen Job gekündigt, wieso?

R. Kunze: Nun, sagen wir es so, es gab schwere politische Streitereien, die mich dazu veranlassten und die ich nicht näher erläutern will. Stattdessen begann ich ab dieser Zeit, 1959, als Hilfsschlosser im Schwermaschinenbau zu arbeiten

Journalistin: Ab wann haben Sie denn dann begonnen, als Schriftsteller zu arbeiten?

R. Kunze: Das dürfte im Jahre 1962 begonnen haben, als ich auch meine Frau Elisabeth kennengelernt habe. Damals sind wir nach Greiz in Thüringen gezogen.

Journalistin: Sie waren vorher aber schon einmal verheiratet, nicht wahr?

R. Kunze: Das stimmt, im Jahre 1954 habe ich das erste Mal geheiratet. Die Ehe hielt sechs Jahre.

Journalistin: Was haben Sie in der Zeit in Greiz noch getan?

R. Kunze: Ich habe neben meinen eigenen Werken auch zahlreiche weitere von tschechoslowakischen Autoren übersetzt, mit denen ich im Kontakt stand und auch heute noch stehe.

Journalistin: Sie haben von politischen Streitereien gesprochen. Sie hatten doch sicher während ihrer gesamten Laufbahn Probleme damit, nicht wahr?

R. Kunze: Ja, da haben Sie natürlich recht. Nach dem Prager Frühling 1968 bin ich aus der SED ausgetreten und damit begann man eine Akte über mich anzulegen und zwar unter dem Decknamen Lyrik. Ab da wurde es schwerer, meine Werke an die Öffentlichkeit zu bringen, denn ich geriet oft in Konflikt mit der SED – vor allem mit meinem Werk Sensible Wege. Ich habe dann nicht ganz ohne Risiko dieses Werk 1969 und auch Der Löwe Leopold: Fast Märchen, fast Geschichten ein Jahr später in der Bundesrepublik veröffentlicht. Ordnungsverfahren wurden mir angehängt und meine Werke verboten, in der DDR haben sie meinen Löwe Leopold gar nicht erst zugelassen und er wurde mit allen fertigen Ausgaben eingestampft. Der Verlust ist nicht gering gewesen.

Journalistin: Wurden Sie denn deshalb aus dem Schriftstellerverband der DDR ausgeschlossen?

R. Kunze: Ja und auch weil ich in meinem Prosaband Die wunderbaren Jahre, ebenfalls veröffentlicht in der BRD, genauer gesagt in Frankfurt am Main, scharfe Kritik an der DDR geübt habe. Meine Haltung hat ihnen nicht gefallen und mir und meiner Frau drohte sogar eine Haftstrafe. Das ist auch der Grund, warum wir 1977 einen Antrag zur Ausbürgerung gestellt haben, der überraschend schnell auch genehmigt wurde.

Journalistin: Was haben Sie denn dann in der Bundesrepublik getan?

R. Kunze: Ich habe weitergeschrieben, 1981 meinen ersten Gedichtband nach der Übersiedlung herausgebracht. Nachdem ich Einblick in meine Stasi-Akte bekommen habe, habe ich sogar daraus noch Werke veröffentlicht, unter dem Namen: Deckname 'Lyrik'.

Journalistin: Und wie leben Sie mittlerweile?

R. Kunze: Jetzt lebe ich als freier Schriftsteller in Erlau, in der Nähe von Passau. Meine Frau und ich haben zudem 2006 die Reiner und Elisabeth Kunze-Stiftung gegründet, die sicherstellen soll, dass zeitgenössische Kunstwerke und Dokumente wie die des Ministeriums für Staatssicherheit öffentlich zugänglich bleiben – auch nach unserem Tod hinaus. Somit soll immer nachvollziehbar bleiben, was es heißt, in solch einer Zeit zu leben.

Journalistin: Vielen Dank für dieses aufschlussreiche Interview, Herr Kunze. Es war uns eine Freude, Sie hier zu treffen.


(Das Interview und die Person der Journalistin sind von uns erdacht)

Zimmerlautstärke

Zimmerlautstärke ist ein im Jahre 1972 erschienener Gedichtband von Reiner Kunze. Die Gedichte wurden zwischen 1968 und 1971 verfasst und zeugen von der kritischen, ablehnenden Haltung Kunzes gegenüber der DDR. 
Das Titelgedicht Zimmerlautstärke, zeigt die Situation, die während der Ära Ulbricht herrschte: "zwölf jahre / durfte ich nicht publizieren / sagt der Mann im Radio", eine klare Anspielung auf die Pressezensur, die Verbote, die den Schriftstellern widerfahren sind. Wahrscheinlich spielt es darauf an, dass sich somit nach dem NS-Regime (1933-1945), während dem auch starke Zensuren und Verbote herrschten, nicht viel geändert hat und dass trotz der antifaschistischen Anliegen der DDR diese Unfreiheiten herrschten. Die Vermutung kommt auf, da es tatsächlich zwölf Jahre waren, die seit Machtübernahme Hitlers und dem Ende des zweiten Weltkrieges vergangen waren.
Das lyrische Ich denkt "...an X" und damit meint er die Allgemeintheit der Schriftsteller, er zwingt uns zum Nachdenken, zeigt, dass es nicht nur das Problem weniger, sondern vieler war. Sicher denkt man zuerst an Leute wie Wolf Biermann, aber genau weiß man eben nicht, wen er meint und so schließt man auf die Allgemeinheit. Dann beginnt es "...zu zählen" und es kommt einen nur der Gedanke, dass sich die Situation, die während des NS-Regimes herrschte, wiederholt und gerade andauert. Es erscheint, als zähle das lyrische Ich nun, wie viele Jahre diese unangenehme, nicht zufriedenstellende Zeit wohl noch andauern wird.
Das Gedicht zeigt eine klare Abneigung gegenüber dem Regime der DDR, denn es wird mit der NS-Zeit verglichen,ein drastischer Vergleich, der die dissidente Abneigung des Autors mehr als nur verdeutlicht. Somit ist es kein Wunder, dass dieses Gedicht erst in einem Gedichtband nach 1971 veröffentlicht werden konnte, denn erst dank der neuen Spielräume kam es überhaupt durch die Pressezensur.


"Zimmerlautstärke



Dann die

zwölf jähre

durfte ich nicht publizieren sagt

der mann im radio



ich denke an X

und beginne zu zählen "

Rezension - Leise Töne 


Zimmerlautstärke. Der Titel sagt alles, was der Autor mit diesem Werk ausdrücken möchte. Stiller Widerstand, leise Töne, man muss nicht schreien, um gehört zu werden.
Reiner Kunze, geboren 1933 in Oelsnitz im Erzgebirge, einer der bedeutendsten Schriftsteller der DDR, verfasste zahlreiche Gedichte und brachte so unter Anderem 1972 den Gedichtband Zimmerlautstärke heraus, mit gesammelten Werken der Jahre 1968-1971.
Man kann es kaum fassen, dass dieses Werk veröffentlicht werden konnte, denn in vielen der Gedichten spürt man die leise Abneigung Kunzes gegenüber der DDR-Regierung und ihren Verboten und Zensuren. Es ist nicht bei jedem Gedicht ganz klar ausgedrückt, aber dennoch weiß man stets, was gemeint ist: „... jeder kennt doch das Verbot“, „...der Blick durchforstet das Gebüsch bevor wir sprechen“, „...die Zensur kann ihn nicht streichen“.

Die Ängste und Gefahren des Schriftstellerdaseins oder auch überhaupt des Lebens während dieser Zeit sind die Themen der Werke. Selbst uns jüngeren Menschen, die diese Zeit wohl kaum erlebt haben, wird einiges klar und vor Augen geführt, das wir nicht kennen. Sein Werk ist wertvoll, denn es erhält ein Andenken an die Zeit, es sind Worte, die daran erinnern und die Bilder in unseren Köpfen erzeugen.
Persönlich muss ich sagen, dass ich nicht alle dieser Gedichte genauestens verstanden habe, denn ich denke, dass man dies nur kann, wenn man die Zeit erlebt hat, aber gerade wenn man sich näher mit ihnen auseinandersetzt, merkt man, dass dies nicht notwendig ist, denn viele der Gedichte lassen einen großen Raum an Deutungen. Ich möchte hierbei eines der Gedichte als Beispiel anbringen: Angeln an der Grenze von 1970. Es geht um Menschen, die offensichtlich an einem Gewässer sind, das an der Grenze liegt, denn die Rede ist von Stacheldraht, der ein Durchkommen unmöglich macht. So weit ist alles klar. Gemeint ist, genau aufzupassen, dass niemand hört, was sie sagen: „...der Blick durchforstet das Gebüsch bevor wir sprechen“.
Wegen was? Überwachung? Angst vor Strafen? Ist es illegal, was sie tun? Man weiß es nicht genau, aber man erkennt eindeutig die Gefahr, von was auch immer sie ausgehen mag. Das Gedicht bringt einem sofort die Atmosphäre nahe, die damals geherrscht hat. Reiner Kunze erzeugt in unseren Köpfen eine Fantasie. Stacheldraht erinnert an Unfreiheit, Einsperrung.
Außerdem finde ich parallelen zum Titelgedicht
Zimmerlautstärke. Der erste Gedanke dreht sich erneut um die Überwachung. Die Lautstärke ist gering. Man durchforstet die Umgebung mit Blicken, bevor man etwas sagt. Es erscheint so, als müsste man ständig darauf achten, was man von sich gibt und wer es hören kann. Wenn man schon Widerstand leistet, dann kann man ihn nicht laut hinausposaunen, sondern muss ihn leise austauschen.
Alles in Allem lohnt es sich diesen Gedichtband zu lesen und sich damit zu beschäftigen, vor allem wenn man den Spuren des Autors und des historischen Hintergrundes auf den Grund gehen möchte. Zunächst mag es einem komisch vorkommen, dass man keine Reime vorfindet und die Strophen sehr ungleichmäßig sind. Auch, dass alle Wörter außer die Satzanfänge und Eigennamen klein geschrieben sind, fällt einem sofort auf. Kunze möchte damit die Wirkung der Gedichte verstärken. Es ist nicht wichtig, dass Worte auffallen, die eigentlich nicht auffallen sollen. Viele der Gedichte sind aber sehr kurz, was es erleichtert, sie genauer unter die Lupe zu nehmen und was die Motivation, sie zu lesen, anregt. 
Es ist angenehm zu lesen, man denkt automatisch darüber nach, was gemeint ist und das macht den Band sehr interessant, auch wenn es thematisch nicht immer einfach zu verstehen ist. Betrachtet man alles genau, dann ist es kein Wunder, dass diese Werke erst nach der Ära Ulbricht veröffentlicht werden konnten.

G.F.