Ulrich Plenzdorf




Mein Name ist...

Mein Name ist Ulrich Plenzdorf - deutscher Schriftsteller, Drehbuchautor und Dramaturg. Geboren wurde ich am 26. Oktober 1934 in Berlin. Mein Vater war Maschinenbauer, er und meine Mutter gehörten der KPD an und setzten sich aktiv gegen Nationalsozialisten ein. Das ist auch der Grund, warum sie mehrfach verfolgt und verhaftet wurden.
Nachdem ich mein Abitur erfolgreich abgeschlossen hatte, begann ich in Leipzig ein Philosophie-Studium, welches ich allerdings nach 3 Semestern Abgebrochen habe. Es war einfach nicht das Richtige für mich. 1955 habe ich geheiratet und mit meiner Frau insgesamt drei Kinder bekommen. Mit 21 Jahren habe ich begonnen bei der DEFA als Bühnenarbeiter zu arbeiten, bis ich 1958 von der DDR als Soldat eingezogen wurde. Die Arbeit als Bühnenarbeiter hat mich inspiriert, deshalb habe ich 1959 ein Studium an der Filmhochschule Potsdam-Babelsberg in Dramaturgie begonnen. Nach einem erfolgreichem Abschluss im Jahr 1963 ging ich zurück zur DEFA, diesmal als Szenarist und Dramaturg.
Zusammen mit Joachim Kupsch verfasste ich 1964 das Drehbuch für meinen ersten Film: „Mir nach, Canaillen“ – der Film zählt zu den größten Kassenerfolgen des Jahres. Meinen ausschlaggebenden Erfolg erlangte ich sechs Jahre später durch meinen Film „Kennen Sie Urban?“. Darin setzte ich mich mit der Gegenwart der DDR und Problemen junger Leute auseinander.
Den Erfolg in der Bundesrepublik erreichte ich durch zwei verschiedene Dinge in einem Jahr: 1972 – ich veröffentlichte in der Zeitung Sinn und Form meine Erzählung „Die neuen Leiden des jungen W.“. Ursprünglich hatte ich diese schon 1969 geschrieben, da sie in der DDR allerdings als gesellschaftskritisch galt, wurde sie von der DEFA abgelehnt. Aber wie gesagt, dies war nicht das Einzige, was ich in diesem Jahr veröffentlicht habe. Mein anderes Werk kennen Sie mit Sicherheit, bestimmt haben Sie den Film gesehen: „Die Legende von Paul und Paula“. Dieser Film war eine Sensation, tausende Leute hat er in die Kinos gezogen!
Aber wie eben schon angedeutet, hatte ich in der DDR so meine Schwierigkeiten, da meine Werke als zu gesellschaftskritisch galten. Und das in einer Zeit, in der uns Autoren neue Spielräume geschaffen wurden! Deshalb arbeitete ich einige Jahre beim westdeutschen Fernsehen, bevor ich mich Mitte der 80er schließlich auf das Theater konzentrierte. Erst nach der Wiedervereinigung fing ich wieder an, für das Fernsehen zu arbeiten. Ich schrieb ein paar Drehbücher, unter anderem für die Folge „Liebling-Kreuzberg“, mit Manfred Krug in der Hauptrolle. Zuletzt widmete ich mich sogar einigen Versen.
Am 9. August 2007 war es vorbei mit dem Schreiben, ich verstarb in einer Klinik in der Nähe von Berlin im Alter von 72 Jahren. Ich hatte ein aufregendes, langes Leben. Die DDR verdankte mir einen Welterfolg, ich war ihr goldener Autor. Heute ist es fast ein bisschen schade, dass mein Name  beinahe nur noch mit den „Neuen Leiden des jungen W.“ und der „Legende von Paul und Paula“ verbunden wird, aber das waren sie nun einmal – meine größten Erfolge.


Die neuen Leiden des jungen W.

Mit dem Amtsantritt Erich Honeckers am dritten Mai 1971 sollte es in kultureller sowie künstlerischer Hinsicht einen Aufschwung geben. Es wurden neue Freiräume geschaffen, den Autoren standen scheinbar neue Türen offen. Dennoch hatte die SED immer ein scharfes Auge auf freischaffende Künstler und Schriftsteller. Pressezensuren und Druckverbote machten es den Autoren nicht leicht, ihr Werke offen darzulegen, auch wenn die Pressezensur seit Honecker ein wenig entschärft wurde.
Auch Ulrich Plenzdorf gehörte zu der Gruppe von Schriftstellern, welche Probleme der Zeit aufgriffen und mit ihren Werken in der DDR aneckten. „Die neuen Leiden des jungen W.“ wurde 1968 vom Schriftstellerverband der DDR als Bühnenstück und Roman abgelehnt, es sei zu gesellschaftskritisch gewesen und damit wie ein Dorn im Auge des Systems. Plenzdorf war, wie beispielsweise auch Christa Wolf, kein direkter Gegner des Sozialismus, er griff zum Großteil lediglich gesellschaftliche Problempunkte auf und brachte sie den Menschen näher.
Mit dem Charakter des Edgar Wibeau wendet er sich zum Beispiel direkt an die Jugend, macht auf die vorherrschenden Verhältnisse in einem amüsanten, lockeren, aber dennoch ernsten Schreibstil aufmerksam, ohne dabei selbst Partei zu ergreifen.



"Die neuen Leiden des jungen W." ist eines von Plenzdorfs erfolgreichsten Werken. Die Geschichte beginnt mit dem Tod der Hauptperson, dem jungen Edgar Wibeau, welcher in Ostdeutschland lebt. Im Buch wird sein Leben beschrieben, sein Ausbruch aus dem kleinbürgerlichen, musterhaften Leben in die Großstadt Berlin und seine gescheiterte Liebe. Dabei entdeckt der 17-jährige immer wieder Parallelen zwischen seinem eigenen Leben und dem des Werthers aus Goethes "Die Leiden des jungen Werthers".

Ulrich Plenzdorf greift in seinem Werk die Leitlinien und –strukturen der DDR auf. Der Staat orientiert sich allein an einer kommunistischen Ideologie und lehnt andere Weltanschauungen ab. Die SED setzt große Stücke auf die Nachfolgegenerationen und nutzt somit ihren Einfluss auf die Freie Deutsche Jugend (FDJ) zur politischen Mobilisierung. Dadurch sind im Rahmen der Entwicklung der Jugendlichen Kreativität, Spontanität und Eigeninitiative eher unerwünscht. Im Buch rebelliert der junge Edgar Wibeau gegen diese Voraussetzungen und Richtlinien. In einem seiner immer wieder zwischen den Textstellen auftretenden Selbsterklärungen zu den Situationen meint er:

Was sagt der Jugendfreund Edgar Wibeau (!) zu seinem Verhalten zu Meister Flemming? Leute! Ich hätt mir doch lieber sonstwas abgebissen, als irgendwas zu sülzen von: Ich sehe ein… Ich werde in Zukunft…, verpflichte mich hiermit… und so weiter! Ich hatte was gegen Selbstkritik, ich meine: gegen öffentliche. Das ist irgendwie entwürdigend.“ 
Der Autor kritisiert hiermit mittels seiner Hauptfigur die fehlenden Entfaltungsmöglichkeiten in der DDR. Er zeigt eine Erwartungshaltung, bei der verlangt wurde, sich stets dem System unterzuordnen und somit nicht eigenen Gedanken und Vorstellungen nachgehen durfte.
Des Weiteren wird deutlich, dass sich Edgar den vorgesetzten Plänen entzieht. Er flieht nach Berlin, ohne ein Wort der Ankündigung nimmt er seinen weiteren Lebensweg einfach selbst in die Hand.
„Edgar Wibeau hat die Lehre geschmissen und ist von zu Hause weg, weil er das schon lange vorhatte. Er hat sich in Berlin als Anstreicher durchgeschlagen, hat seinen Spaß gehabt, hat Charlotte gehabt und hat beinah eine große Erfindung gemacht, weil er das so wollte!“
Im Buch werden nicht die gesamten sozialistischen Grundlagen des Staatssystems angefochten, sondern allein die gesellschaftlichen Verhältnisse. Den Jugendlichen wird es schwer gemacht, sich selbst zu finden beziehungsweise zu entfalten, da es eine ganz bestimmte Erwartungshaltung an sie gibt. Plenzdorf zerschlägt diese Erwartungshaltung, indem er seinen Protagonisten auf eigene Faust handeln lässt. Edgar legt seine Lehre nieder, obwohl er stets ein Musterschüler war, er hat seinen Spaß und hat es geschafft, sich allein in einer Großstadt durchzuschlagen.
„Der Sohn der Leiterin, bis dato der beste Lehrling, Durchschnitt eins Komma eins, entpuppt sich als Rowdy! Schmeißt die Lehre! Rennt von zuhause weg! Ich meine…!“
Anhand dieser Aussage der Mutter von Edgar erkennt man die eigentliche Ungeheuerlichkeit seiner Taten.
Des Weiteren drückt er seine Rebellion durch seinen persönlichen Stil aus – lange Haare, Popmusik und Jeans.
Die Parallelen zu Goethe werden zum Ende von Plenzdorfs Roman hin immer deutlicher. Anfangs in einer eher ablehnenden Haltung meinte Edgar noch:

Dieser Kerl in dem Buch, dieser Werther, wie er hieß, macht am Schluss Selbstmord [], weil er die Frau nicht kriegen kann, die er haben will, und tut sich ungeheuer leid dabei.“
Als er sich jedoch in die Kindergärtnerin Charlotte verliebt, kann er sich mehr und mehr mit Werther identifizieren und beginnt seine Gefühle in Goethe-Zitaten auszudrücken.

Ich war jedenfalls fast so weit, dass ich Old Werther verstand, wenn er nicht mehr weiterkonnte.“